Sonntag, 2. November 2014

zurück zum Alltag

Mit einer gewissen Verbitterung, nahm ich gestern mein Gewicht von 110 kg zur Kenntnis.
Ich beschloss, einfach so zu tun, als sei die Idee Gewicht zu verlieren ganz neu und ignorierte den neben mir gähnenden Abgrund der Herbstdepressionen.
Einfach irgendwo anfangen!, beschloss ich und räumte ein einzelnes Haargummi in das entsprechende Kästchen im Badezimmer. Auf dem Weg vom Badezimmer zurück, sammelte ich gleich ein wenig Altpapier zusammen, versenkte es im Altpapier-Eimer in der Küche und räumte die Spülmaschine aus.
Wusch ab.
Beschloss, dass ich erst einmal mich "aufräumen" sollte und duschte, rasierte, polierte, zupfte und schnibbelte ausgiebig an mir herum.
Dann stellte ich fest, dass ich nicht arbeiten konnte, da ich nicht online war.
Ok, dann erst mal Staub saugen.
Immer noch offline.
Also kochte ich eine Kartoffelsuppe.
Teilte die Unordnung in meinem Schlafzimmer in 10 Portionen ein, von denen ich dann gleich 2 abtrug.
Immer ein Teil einzeln rausnehmen und direkt dort hin, wo es gehört oder ab in den Müll.
Mir fiel eine Mütze in die Finger, die versehentlich zur Kindermütze geworden war und bei der die Fäden noch nicht vernäht waren.
Ich vernähte die Fäden und legte sie mit in den Karton, den ich für das Flüchtlingscafe habe.
Eine Kindermütze würde dort sicher einen Abnehmer finden.
Noch dazu eine nagelneue, warme, witzige Mütze.

Ich nahm mir keine großen Ziele vor - immer nur ein Teil und nicht in den Abgrund gucken, der da sagt, dass ich das alles nicht schaffe, immer fett bleibe und eine Schlampe.
Irgendwann bemerkte ich, dass auch mein Internetradio verstummt war.
Die Hotline anrufen?
Mein Telefon war auch tot.
Ok, das Handy ... Akku leer ... in die Steckdose.
Von wegen Schlampe ... Schlampen wissen nicht, wo ihr Ladekabel ist!
Und mein Ladekabel ist genau da, wo es hingehört.
Mir ist vermutlich klarer als Euch, mit wem ich mich da leise zankte ...
Die Hotline teilte mir mit, dass mein Splitter defekt sei und dass ich in der nächsten größeren Stadt einen neuen Splitter bekäme. Ein Blick auf die Uhr, und ich hatte es sehr eilig.
Mein Sohn rief mich beunruhigt auf dem Handy an und ich sagte ihm, dass ich auf dem Weg zum Telekom Shop sei und ihn auf dem Rückweg von seinem Kumpel abholen könnte, wo seine Party stattgefunden hatte.
"Ich habe eine Kartoffelsuppe gekocht!", sagte ich noch und den Rest der Fahrt kicherte ich leise vor mich hin.
Das muss man an so einem Depri-Tag erst mal hinbekommen:
nicht nur, war ich zurecht gemacht, nein, ich hatte ein Problem zeitnah in Angriff genommen und konnte meinem Sohn noch so etwas Biederes wie "ich habe Kartoffelsuppe gekocht!" mitteilen.
Ach, und dank meiner Art, sämtliche Unordnung auf ein Zimmer zu konzentrieren, holte ich ihn in ein ordentliches, geputztes Zuhause.
Ich bin SuperMom!

Kurz bevor ich meinen Zielort erreichte, fiel dann auch noch das Navi aus ... aber dennoch kam ich pünktlich in den Shop und man händigte mir einen Karton mit neuem Splitter aus, bevor man hinter mir abschloss.
SuperMom! SuperMom!

Ich holte meinen leicht verkaterten Sohn ab, der erstaunlicher Weise lieber schlafen, als Kartoffelsuppe essen wollte ... und nahm mich dann der Sache mit dem Splitter an.
Ok, hier wurde es leise absurd:
in meiner Anlage gibt es gar keinen Splitter.
Ich beguckte den nagelneuen Splitter, beguckte meine Anlage, zog mit gewissem Aktionismus einfach mal einen Stecker aus der Wand um zu schauen, ob sich dahinter tatsächlich eine Steckdose oder zB ein Splitter befand, steckte den Stecker wieder rein, als das Telefon Laut gab.
Wenig später hörte ich mein Radio aus der Küche ... und ich war online.
Sehr rätselhaft, denn der neue Splitter liegt da noch in seinem Karton ... und stellt nun ein Teil dar, das ich wohl entrümpeln muss, denn ... hier ist kein defekter Splitter, der ersetzt werden möchte.
Ich bin aber deutlich zu lange schon Telekom-Kunde, als dass mich dieses Erlebnis nun irgendwie verwundern könnte.

Die Herbstdepression hatte sich mittlerweile wie üblich verkrümelt.
Entweder ich stolper vormittags hinein, oder sie verschwindet mittags.
Heute hat sie nur eine kleine Schwester vorbei geschickt, die von der Waage ins Abseits geschubst wurde, die mir relativ versöhnliche 108,6 kg mitteilte.
Netter Weise ergänzte die Wii, dass mein Idealgewicht übrigens 54 kg beträgt.
Immerhin ist mein Wii Alter 29.

Das ist übrigens das Grandiose, wenn man irgendwann einmal eine satte fette Stress-Depression überstanden hat:
ich habe gelernt, "Depri-Bockmist" und echte Probleme zu unterscheiden und ich weiß, wann es völlig sinnlos ist, arbeiten zu wollen, wann ich eine Runde nach der anderen über die Felder drehen muss und wann es Zeit ist, sich ein Chips-Gebirge zuzulegen, alberne Serien zu gucken und zu stricken (und sei es Kindermützen, für die eigentlich die Abnehmer fehlen).

Ich bin übrigens heilfroh, dass ich mit Essen alles Mögliche kompensieren kann.
Alkohol, Drogen, Kaufsucht ... alles übler, würde ich sagen.
Einzig die Sexsucht erscheint mir ... reizvoller ;-)


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